Jürgen Habermas participated in the conference "Vernünftige Freiheit und öffentliche Vernunft. Jürgen Habermas' Auch eine Geschichte der Philosophie im Diskurs", organized by "Evangelischen Akademie" in Tutzing (south of Starnberg), October 25-27, 2021.
Excerpts from the reports in the German newspapers:
* Miguel de la Riva in "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (November 1): "Elektrisierende Lektüre im Zug nach Frankfurt"
"Er habe nur ein "normales philosophisches Buch" schreiben wollen, sagt Jürgen Habermas. Damit will er nicht mit falscher Bescheidenheit sein monumentales, mehr als 1700 Seiten dickes Alterswerk "Auch eine Geschichte der Philosophie" kleinreden. Vielmehr drückt er so seine Überraschung darüber aus, wie sehr sich die Rezeption der beiden vor zwei Jahren erschienenen Bände bislang um die Frage dreht, was von Religion und Metaphysik heute noch zu retten sei. Dass darauf gerade auch ausgenüchterte Philosophieprofessoren insistierten, könne auf Gemütsbedürfnisse hindeuten, die von den eingeschärften akademischen Argumentationsformen nicht mehr eingeholt würden, vermutet der Autor. So reagiert Habermas in seinen Schlussworten auf eine Tagung an der evangelischen Akademie Tutzing, auf der Schüler und Weggefährten sein jüngstes Buch gewürdigt haben. mit pointierten Stellungnahmen und konzisen Repliken zeigte sich der Philosoph auch im Alter von 92 Jahren äußerst diskussionsfreudig und intellektuell agil. (....)
Die "okzidentale Konstellation von Glauben und Wissen" habe er im Buch nur deshalb zum zentralen Motiv erhoben, weil sich die "Frage, was sich die Philosophie noch zutrauen kann und soll", daran entscheide, wie sie sich zum "transformierten Erbe religiöser Herkunft" verhält, wie es im Vorwort heißt – einem Erbe, das in Gestalt von Kant und den deutschen Idealisten allerdings längst Philosophie geworden ist. Die Angewiesenheit der Philosophie auf die Religion, der Moderne auf den tradierten Ritus, die dem Buch zuweilen entnommen wurde, wollte Habermas eingeschränkt wissen: Der Abschied von der Metaphysik entlocke ihm keine Träne, gesellschaftliche Probleme müssten heute selbstverständlich "kraft allein praktischer Vernunft" gelöst werden."
* Jörg Später in "taz" (October 29): "Längst nicht am Ende"
Die Laudatio auf Habermas’ Philosophiegeschichte hielt Jan Philipp Reemtsma, der bereits 2001 den Philosophen bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels gewürdigt hatte. Damals hatte er die „Anschlussfähigkeit“ von Habermas’ Denken und Forschen hervorgehoben, nun bezeichnete er den „Roman abendländischen Denkens“ als „Eulenflug“. Die Eule der Minerva kommt von ihrem Flug zurück und berichtet, was sie gesehen hat: eine Erfolgsgeschichte, denn die Menschheit lernt!
Habermas hingegen war mit diesem Bild nicht einverstanden: Sein Buch sei nicht in Abschiedsstimmung verfasst worden, demnach nun eine bestimmte Philosophie an ihr Ende gekommen sei. Sondern als Ermutigung, dass Philosophie weiter dem praktischen Gebrauch von Vernunft und der Sozialintegration dienen könne. Der Befund von Lernprozessen bedeute auch keine teleologische und ungebrochene Fortschrittserzählung, denn sie habe weder Anfang noch Ziel, noch sei dieses Lernen gegen Einbrüche und Regressionen gefeit.
* Jens-Christian Rabe in "Süddeutsche Zeitung" (October 28): "Jürgen Habermas in Hochform"
Versammelt sind Freunde, Weggefährten und Komplizen, allesamt eher kritische Bewunderer als Kritiker. Andererseits sind Ton und Atmosphäre dadurch so locker, entspannt und warm, dass der Blick ganz frei ist auf das Wesentliche des riesigen philosophischen Werks von Jürgen Habermas, das sich mit "Auch eine Geschichte" auf bemerkenswerte Weise rundet.
Und so kommt es immer wieder zu Momenten wie dem nach dem Vortrag von Martin Seel. Habermas geht sichtlich ergriffen zur Antwort aufs Podium - und sagt in seinem typisch nachdenklichen und doch zugewandt-zupackenden Ton: "Seel stellt die Frage, die ich mir gar nicht gestellt habe: Warum eigentlich die Philosophie als Lernprozess beschreiben?" Und Seels Überlegungen hätten ihn nun auch zur Antwort geführt: Nur so könne er sie in ihrer Zeitlichkeit erfassen und erzählen, ohne ihren Wahrheitsanspruch aufgeben zu müssen. Das ist auch für einen nachmetaphysischen Philosophen, der die Kehre zur Anything-goes-Postmoderne und ihrer tiefen Wahrheitsskepsis nie mitmachte, keine Kleinigkeit. Denn die postmoderne Wahrheitsskepsis hat ihn spürbar nicht unbeeindruckt gelassen, er wäre andernfalls ja auch ein schlechter Nachmetaphysiker.
Es sind solche großen melancholischen Momente, die in Erinnerung bleiben. Die Auseinandersetzung mit dem religiösen Erbe der Philosophie hat Habermas, der natürlich bitte auf jeden Fall immer noch als strikt säkulärer Denker verstanden werden will, sensibler gemacht für den Umstand, der auf der Tagung auf den schönen Satz gebracht wird: "Argumente trösten nicht." Ein magischer Rest unserer Kommunikation wird von "argumentativen Formen" offenbar nicht eingeholt. Das muss selbst der strenge Rationalist Habermas in seinem Schlusswort zugeben, auch wenn er dem Phänomen sympathischerweise erkennbar staunend gegenübersteht, wenn auch nicht völlig verständnislos: Am Anfang, als ganz junger Student, da seien für ihn viel wichtiger als Philosophen oder Soziologen die Theologen gewesen: "Das waren die einzigen Professoren, die so reden konnten, dass man als Student berührt war."